Estellas Versprechen - Wie alles begann . . .
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Fünf Meter weiter stand dieser arrogante Fatzke lässig mitten auf dem Flur, umringt von seinem Fanclub. Diese schmachtenden Blicke. Dieses ergebene Warten auf eines seiner wohldosierten Lächeln, auf die Gunst, ihm den Rucksack, den er achtlos in irgendeine Ecke geschmissen hatte, anzureichen. Letztens hatten zwei seiner Jüngerinnen ihm sogar beim Tapezieren seines Zimmers geholfen. Nein, nicht geholfen. Sie waren auserwählt worden; hatten sich in seiner unermesslichen Gnade sonnen dürfen. Einen Tag später waren sie mit stolzgeschwellter Brust durch die Gegend gelatscht und hatten allen davon erzählt.
Besaßen diese dummen Puten denn gar keine Selbstachtung?
Estella riss sich zusammen und schob sich an dem Pulk vorbei.
»Hallo Herzchen, rief Erwin auch schon. »Hast du dieses Wochenende schon etwas vor?«
»Ja«, blaffte sie, »eine Voodoopuppe basteln und ihr Nadeln in ein paar sensible Körperteile stecken.«
»Autsch!«, sagte er und tat so, als hätte sie ihm wohin getreten.
Der Fanclub brachte sich mit blitzenden Augen in Verteidigungsstellung. Wahrscheinlich hätte sich jede von denen einer Kugel in den Weg geworfen, um diesen Idioten zu schützen.
Der hatte mittlerweile sein bekanntes ironisches Lächeln aufgesetzt.
»Eine Voodoopuppe ist gar nicht nötig, Herzchen. Deine Ausstrahlung reicht vollkommen aus. Deine Aura fühlt sich mal wieder an wie die Schneide eines Schlachtermessers.«
»Keine Sorge«, presste sie heraus, »ich werde dich ordnungsgemäß narkotisieren, bevor ich dich in deine Einzelteile zerlege.«
Er warf ihr eine Kusshand zu. »Ich wünsche dir ebenfalls ein schönes Wochenende.«
Sie hatte keine Ahnung, warum der Typ sie so ankotzte.
Nein, das stimmte nicht.
Der Grund saß im Klassenraum neben ihr.
»Du bist spät dran«, sagte Christa, als sie sich zu ihr setzte.
»Bin aufgehalten worden«, antwortete Estella.
»Hast du Erwin auf dem Flur gesehen?«, schwärmte Christa und hatte diesen verklärten Blick, der Estella in den Wahnsinn trieb. »Die knapp sitzende Jeans und der enge Pullover. Erwin hat nicht ein Gramm Fett am Körper.«
Estella riss sich zusammen. Erwin zu kritisieren bedeutete Christa einen Extraschubs in die falsche Richtung zu geben.
»Ich finde Damian hübscher«, antwortete sie, um Christa keine Munition zu liefern. »Was soll’s! Sie sind beide zwei Jahrgänge über uns. Für die sind wir doch nur Kinder.«
Christa zog eine Schnute. »In drei Monaten werde ich sechzehn!«
Monate – Wochen – Tage.
Zeit bahnte sich unerbittlich ihren Weg. Je verzweifelter man sie anzuhalten versuchte, desto schneller jagte sie auf diesen Punkt zu. Den Punkt, der einem so schwer auf der Seele lag, den man fürchtete wie sonst nichts auf der Welt, der einen morgens schweißgebadet aufwachen ließ.
»Du denkst wieder daran, nicht wahr?«, sagte Christa unerwartet sanft und ihre Miene wirkte plötzlich wie die einer Zwanzigjährigen.
Estella nickte.
Christa griff unter der Bank nach ihrer Hand. »Es wird besser werden. Irgendwann wirst du wieder lachen. – Versprochen!«
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